Interview im Zug – mit Raúl Krauthausen

Auf meiner Zugfahrt von Hamburg nach Berlin führte ich ein inspirierendes Interview mit Raúl Krauthausen, dem bekannten Verfechter für Barrierefreiheit & Inklusion. Es war eine eindrucksvolle Erfahrung, die Herausforderungen von Mitarbeitenden mit Mobilitätseinschränkungen aus erster Hand zu hören.

Hier einige Einblicke aus unserem Gespräch:

Stella Reulecke: Welche Herausforderungen bringen Dienstreisen auf der Schiene?

Spontane Dienstreisen sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oft unmöglich. Der Ticketkauf für Rollstuhlplätze in einem ICE erfordert Planung, da die Plätze auf zwei oder vier Stellplätze limitiert sind. Ein Zugausfall? Das sollte besser nicht passieren. Wichtig für die Reise im Fernverkehr ist auch, dass Betroffene immer den Service der Deutschen Bahn für die Einstiegsrampe buchen müssen. Das betrifft auch die Reisenden mit Flixtrain. Größere Rollstühle haben im Flixtrain keinen Platz und sind somit von dem kostengünstigen Angebot ausgeschlossen. Mehr Informationen zur Barrierefreiheit bei Flixtrain findet ihr auf der Website des Bundesverbands Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. Ein weiteres Problem ist, dass das Servicepersonal nicht immer 24 Stunden arbeitet. Reisende sind auf die Arbeitszeiten angewiesen und können nicht jederzeit unterwegs sein. Das stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, wenn Termine außerhalb dieser Zeiten liegen.

Stella Reulecke: Wieso hat der ICE überhaupt solche hohen Stufen? Das ist für mich als Radfahrende oder für Personen mit Kinderwagen ebenfalls eine Herausforderung.

Das liegt daran, dass die Antriebstechnik unten im Zug verbaut ist, um hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. Neue Zugmodelle wie der ICE L vom spanischen Hersteller Talgo bieten hier Abhilfe. Dieser hat einen stufenlosen Einstieg, sodass Reisende im Rollstuhl ohne fremde Hilfe in den Zug einsteigen können. Eine erste Nutzung ist auf der Strecke Berlin-Amsterdam ab Herbst 2024 möglich. Das ist eine positive Nachricht, aber es wird viele Jahre dauern, bis dieses Modell auf weiteren Strecken genutzt werden kann. Das bedeutet, dass Dienstreisen weiterhin viel Planung benötigen. Neben diesem Thema ist es wichtig, ausschließlich barrierefreie Bahnhöfe zu nutzen und zu wissen, ob beispielsweise die Aufzüge funktionieren. Hier kann die Website „DB Bahnhöfe live“ erste Informationen geben.

Stella Reulecke: Der Fernverkehr ist für Dienstreisen mit viel Planung und Herausforderungen machbar. Wie sieht es denn im Bereich des ÖPNV aus?

Hier hat Raúl Krauthausen insbesondere das Thema der regionalen Unterschiede betont. Jede Stadt ist anders ausgestattet. Das liegt an unserem föderalen System. Nicht jede Haltestelle oder Linie ist barrierefrei. Als Beispiel nennt er eine Erfahrung aus Köln. Hier wird die U-Bahn ab einer bestimmten Haltestelle zur Straßenbahn. Die U-Bahn ist barrierefrei, die Straßenbahn nicht. Diese Information ist für Personen, die nicht aus Köln sind, schwer zugänglich. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die Geheimtipps der Städte vorab zu kennen. Ergänzend dazu ist es auch wichtig, den Weg zu den Stationen vorab zu planen.

Stella Reulecke: Das Beispiel zeigt, wie wichtig regionale Kenntnisse in den Städten sind. Somit ist der ÖPNV für Dienstreisen, ohne Ortskenntnisse, ebenfalls eine Herausforderung. Kommen wir zu den Benefits, welche Arbeitgeber Ihren Mitarbeitenden zur Verfügung stellen können. Bietet das Mobilitätsbudget gute Chancen ein Benefit für Menschen mit Einschränkungen in der Mobilität zu sein?

Raúl Krauthausen beginnt seine Antwort mit einer Gegenfrage: Denkst du, dass das Mobilitätsbudget ein Benefit für Menschen im Rollstuhl ist? Arbeitgeber sollten ihren Mitarbeitenden Benefits bieten, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Ein Mobilitätsbudget kann ein Anfang sein. Aber ist eine Bahncard oder ein Deutschlandticket ein wirklicher Benefit für Menschen im Rollstuhl? Wäre es nicht besser, wenn sich über das Mobilitätsbudget weitere Benefits abbilden ließen, wie eine Datenflatrate, die es ihnen ermöglicht, überall flexibel zu arbeiten? Oder ein Jahresticket für eine kulturelle Einrichtung? Wir haben bei neuen Mitarbeiterbenefits jedes Mal die Chance, Barrierefreiheit mitzudenken.

Stella Reulecke: Aber wenn wir im Bereich der Benefits bleiben, stelle ich mir die Frage, ob das Homeoffice nicht eine sehr gute Chance ist, Menschen mit Behinderungen auf den Arbeitsmarkt noch besser zu integrieren?

Raúl Krauthausen fragt mich stattdessen, ob Homeoffice eine Lösung oder eine Ausrede ist, um nicht barrierefrei zu werden. Möchte man der Einzige oder die Einzige sein, der zu Hause arbeitet, während alle anderen entscheiden können, ob sie ins Büro gehen? Anhand dieses Beispiels sehen wir, wie wichtig der Perspektivwechsel ist. Reine Remote-Jobs, bei denen gleiche Regeln für alle Mitarbeitenden gelten, könnten eine faire Lösung sein. Allerdings ist es wichtig, zu schauen, um welche Jobs es geht. Welche Voraussetzungen benötigt der potenzielle Mitarbeitende, um völlig remote arbeiten zu können? Sind für diese Stellen Hochschulabschlüsse eine Voraussetzung? Wenn ja, dann käme so ein Job nur für eine kleine Gruppe von Menschen mit Behinderung in Frage. Das Statistische Bundesamt sagt: „27 % der Menschen mit Behinderung im Alter von 30 bis 44 Jahren besaßen im Jahr 2017 gar keinen Berufsabschluss – bei den Menschen ohne Behinderung waren es 14 %. Zudem fällt der Anteil von Menschen mit Behinderung immer niedriger aus, je höher der Abschluss in der Ausbildungshierarchie angesiedelt ist. So hatten anteilig mehr 30- bis 44-jährige Menschen mit Behinderung eine abgeschlossene Berufsausbildung als Menschen ohne Behinderung in dieser Altersgruppe (54 % gegenüber 49 %). Dagegen besaßen anteilig deutlich mehr Menschen ohne Behinderung einen Hochschulabschluss als Menschen mit Handicap (18 % gegenüber 6 %).“ Demnach müssen wir uns ebenfalls die Frage stellen, ob die Einstellungspolitik inklusiv ist.

Fazit: Es gibt nach wie vor viel zu tun. Das Interview hat gezeigt, dass ein aktiver Austausch notwendig ist, um die Herausforderungen besser zu verstehen und zielgerichtete Lösungen entwickeln zu können. Es gibt bereits viele Websites, die das Reisen mit dem Rollstuhl vereinfachen. Einige Beispiele habe ich unten verlinkt.

– Integration Arbeitsmarkt Menschen mit Behinderung sowie Ausbildung: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/05/PD20_N026_23.html
– Beispiele Barrierefreiheit Fernverkehr: Flixtrain und Deutsche Bahn: https://www.barrierefreifueralle.de/barrierefreie-mobilitaet/unsere-themen/fernverkehr/deutsche-bahn
– Infos zu Bahnhöfen: https://www.bahnhof.de/
– Rollstuhlgerechte Orte: https://wheelmap.org/search
– Hilfeleistungen mit der Bahn: https://hase.app/
– Bahnhof live: https://www.bahnhof.de/entdecken/db-bahnhof-live
– ICEL: https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Leichter-einsteigen-Deutsche-Bahn-praesentiert-ersten-stufenlosen-ICE-8813254

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert